Abstracts 24.4.2020

"Braucht Bindung den Körper?"

Bindungsbeziehungen sind tief verwurzelt in den basalen Rhythmen unseres Körpers. Umgekehrt haben Sicherheit und Geborgenheit einen tiefgreifenden Einfluss auf Körperrhythmen und Organfunktionen. So atmen wir tiefer und unser Herz schlägt langsamer, wenn wir uns sicher fühlen. Diese körperlichen Zusammenhänge spielten in der klassischen Bindungstheorie bisher kaum eine Rolle.

Auf dieser Fachtagung werden unterschiedlichste Körperzugänge zur Eltern-Kind-Bindung und konkrete Modelle der Umsetzung im klinischen Bereich vorgestellt und diskutiert. Der Tag wird von Ursula Henzinger moderiert.


Vom Strom zum Puls: Das phänomenale Bewusstsein der Heilung in der biodynamischen Osteopathie
Karl-Heinz Weber, Osteopath, Wien

In diesem Vortrag wird der Referent über die Wichtigkeit lebenspendender, stiller Strömungsprozesse sprechen, die die Voraussetzung für später wahrnehmbare, pulsierende Körperrhythmen sind. Die Einbettung dieser Strömungsprozesse und Rhythmen in einen stillen Hintergrund ist essentiell für viele physiologische und vor allem hormonelle Prozesse. Umgekehrt können das Abkoppeln und die selbstbestimmte Rhythmusdiktion mit dem Verlust wesentlicher Funktionen verbunden sein. Welche Bedeutung diese Haltungen für die Beziehung in der Schwangerschaft, bei der Geburt und nach der Geburt haben können, soll erörtert werden.


Atmung und innere Sicherheit: Warum sichere Bindung die Lungen kräftigt
Thomas Harms, Begründer der EEH, Psychologe, Körperpsychotherapeut, Bremen

In diesem Vortrag wird der Psychologe und Babytherapeut Thomas Harms über die körper-und bindungsorientierten Grundlagen der Atmung sprechen. Zum einen zeigt er in seinen Ausführungen, in welcher Weise das Sicherheitserleben bei Eltern und Kind mit spezifischen Reaktionsformen der Atmung verknüpft ist. Dabei ist eine Erweiterung der Atemschwingung nicht nur Folge, sondern auch Ursache eines Erlebens von Bindungssicherheit. Konkret bedeutet dies, wir können die Atmung in besonders effektiver Weise nutzen, um bindungsstärkende Regelkreise zu eröffnen oder auch stressbedingte Schwächungen der Öffnungsbereitschaft bei Eltern und Kind zu verlassen.
Dabei ist die Atmung in der EEH weniger eine Entspannungstechnik, sondern vielmehr ein diagnostisches Frühwarnsystem, mit deren Hilfe die Eltern drohende Verluste ihrer körperlichen und affektiven Abstimmung mit dem Baby frühzeitig erkennen und gezielt entgegen wirken können.

Inhalte

  • Neurovegetativen Grundlagen der Atmung
  • Bindungssicherheit als Folge und Ursache der „Bauchatmung“
  • Atemregulation und neuroaffektive Ansteckungswirkungen
  • Bindungsmuster und charakteristische Atemtypen
  • Einsatz der Atemarbeit in der EEH zum Aufbau von bindungsstärkenden Regelkreisen
  • Video- und Fallbeispiele

Die Kraft des Herzens: Herzbasierte Bindungsförderung in Beratung und Therapie
Karin Meyer-Harms, Psychologin, Körperpsychotherapeutin, Bremen

In diesem Vortrag wird erläutert, warum unser Herz weit mehr ist als eine mechanische Pumpe, die den Blutkreislauf in Schwung hält. Neuere Forschungen belegen mittlerweile, was Menschen seit jeher wissen: wenn Beziehungen uns berühren, wir Nähe und Verbundenheit oder auch Schmerz und Verlust erleben, immer ist unser Herz beteiligt.

Das Herz fungiert als physisches und emotionales Zentrum menschlicher Bindungsprozesse. Es ist Träger und Vermittler von bindungs- und beziehungsrelevanten Informationen. In beratenden und therapeutischen Kontexten ist die Wahrnehmung dieser Informationen eine wichtige Quelle um Beziehungssicherheit aufzubauen. Darüber hinaus bekommen wir Zugang zu bedeutsamen Bindungserfahrungen, zu echten Motivationen und neuen Ressourcen.

Dies ist sowohl in der bindungsorientierten Arbeit mit Eltern und Babys, als auch in der Arbeit mit Erwachsenen hilfreich, um einen für den jeweiligen Menschen authentischen Zugang zu neuen Sichtweisen und Problemlösungen zu finden


Adaptation im kontinuierlichen Hautkontakt: 10 Jahre Bonding nach dem Kaiserschnitt im Bethesda-Spital in Basel
Cyril Lüdin, Fachberater für EEH, Kinderarzt, leitender Pädiater Bethesda-Spital, Basel

Um ihren eigenen Weg gehen zu können, brauchen Kinder von Anfang an emotionale Sicherheit.

Babys sind empfindsam, wahrnehmend und hochgradig sozial. Sie besitzen eine feines Gespür dafür, ob ihre primären Bedürfnisse nach Halt, Körperkontakt und sozialer Eingebundenheit beantwortet werden oder nicht.

In meiner Tätigkeit im Rahmen von Geburt und Wochenbett war es mir ein Bedürfnis zu hinterfragen, warum manche Babys mit einem Gefühlsausbruch auf diese Welt kommen, der sich dramatisch in Ihrem Schreien, ihren heftig um sich schlagenden Armen und Beinen, ihrer Mimik und ihrer Hautfarbe ausdrückt. Andere Babys scheinen gleich nach der Geburt zufrieden, ruhig und neugierig zu sein.

Das Atemnotsyndrom als klinisch definiertes Krankheitsbild hatte in den ersten 10 Jahren dieses Jahrhunderts um mehr als 50% zugenommen. Überraschend war, dass dieser Anstieg zum großen Teil durch Termingeborene mit einem Gewicht über 2500g verursacht wurde.

Es war bekannt, dass die verzögerte Rückresorption der Lungenflüssigkeit (wet lung) nach Entbindung durch Sectio, insbesondere vor Wehenbeginn, deutlich gehäuft vorkommt. Der Anstieg der Sectio-Rate auf über 30% legte einen Zusammenhang mit der Zunahme des Atemnotsyndroms bei Termingeborenen nahe.

Ausgangpunkt für unser Projekt des frühen Hautkontakts bei Sectio im Bethesda Spital Basel waren die unbefriedigenden Verlegungen von gestressten Neugeborenen mit einem Atemnotsyndrom.  

In meinem Vortrag möchte ich die Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung einer modernen Geburtshilfe in Bezug auf das Bonding darstellen. Wie gelingt es uns, den Fokus nicht nur auf das Tun, sondern auch auf das Fühlen zu richten? Welche Voraussetzungen begünstigen ein sicheres Bonding?


Von der Idee zum wissenschaftlichen Projekt: Nachsorge- und Qualitätsprojekt im BKH Kufstein - Frühe Hilfen für Eltern und Kind
Andrea Huber-Raß, MSc, Evaluation und Claudia Gruber-Knotz, Fachberaterin für EEH

Frühe Hilfen haben gezeigt, dass sie positiv auf die Entwicklung von Kindern wirken und einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten können.

Durch quantitative Erhebungen konnte aufgezeigt werden, dass das Qualitätsprojekt Krankenhaus Kufstein: Frühe Hilfen für Eltern und Kind, für Mütter mit Belastungen (junge Mütter, Kaiserschnitt, psychosoziale Belastungen, …) als sehr hilfreiche Maßnahme empfunden wird.

Im Rahmen des Vortrags wird das Projekt vorgestellt und folgendes nähergebracht:

  • Wie aus einer Idee eine sinnvolle Maßnahme entwickelt wird
  • Die Umsetzung des Projekts in der Praxis
  • Daten, Fakten und Erkenntnisse
  • Ausbau, Weiterentwicklung und Zukunftsvisionen

Rhythmus und Bindung: Die Bedeutung von Langsamkeit für Schwangerschaft, Geburt und erste Lebenszeit
Mechthild Deyringer, Trainerin für EEH, Heilpraktikerin, München

Langsamkeit ist mehr als die Abwesenheit von Geschwindigkeit und in unserer Gesellschaft beinahe ein Luxusgut. Dabei gerät oft in Vergessenheit, wie stärkend sich eine richtig verstandene Rhythmusveränderung auf Körper und Psyche, insbesondere auf das autonome Nervensystem auswirkt. Für Resilienz, Stresstoleranz und einen gelingenden Bindungsaufbau kann in der Anfangsphase des Lebens mit einfachen Mitteln wirksam beigetragen werden.